Cannabis in der Tiermedizin
Das Endocannabinoid-System (ECS) spielt eine zentrale Rolle in der Regulation von Schmerz, Entzündungen und neurologischen Funktionen – auch bei Tieren. Insbesondere Cannabidiol (CBD) wird als vielversprechende therapeutische Option bei chronischen Erkrankungen wie kognitiven Dysfunktionen, Schmerzsyndromen und Hauterkrankungen erforscht. Doch welche Wirkmechanismen sind relevant, und worauf sollte bei der Anwendung geachtet werden? Ein Blick auf den aktuellen Stand der Wissenschaft und die potenziellen Einsatzmöglichkeiten in der Tiermedizin.
Cannabis ist eine Pflanzengattung aus der Familie der Hanfgewächse. Je nach Verwendungszweck wird sie als Nutz-, Faser- oder Medizinalhanf bezeichnet. Die Arten Cannabis sativa und Cannabis indica sind zweihäusig, das heißt, es gibt getrennte männliche und weibliche Pflanzen. Das psychoaktive Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC) ist hauptsächlich in den blühenden Teilen der weiblichen Pflanzen konzentriert, während die Blätter und männlichen Pflanzen geringere Mengen enthalten. Stängel und Samen weisen praktisch kein THC auf. Charakteristisch für die Pflanze sind ihre zusammengesetzten Blätter, die aus bis zu elf getrennten, gezähnten Fiederblättern bestehen.
Es wird zwischen Cannabis als Arzneimittel und als Rauschmittel unterschieden. Wirksame Leitsubstanzen der Arzneimittel sind Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD).
Tetrahydrocannabinol (THC) wirkt als partieller Agonist an CB1-Rezeptoren im zentralen und peripheren Nervensystem sowie an CB2-Rezeptoren auf bestimmten Immunzellen, die zusammen das endogene Cannabinoid-System bilden. Die Bindung von THC an diese Rezeptoren hemmt die Adenylatzyklase und senkt die intrazelluläre cAMP-Konzentration.
THC besitzt vielfältige pharmakologische Effekte, darunter antiemetische, appetitsteigernde, schmerzlindernde, entzündungshemmende, muskelentspannende, sedierende und psychotrope Wirkungen. Zudem hat es sympathomimetische Eigenschaften im zentralen Nervensystem, was zu unerwünschten Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System führen kann. Darüber hinaus moduliert THC allosterisch die μ- und δ-Opioidrezeptoren und könnte antagonistisch auf 5-HT3-Rezeptoren wirken. Seine neuroprotektive Wirkung beruht unter anderem auf der Hemmung einer glutamatinduzierten Exzitotoxizität.
Cannabidiol (CBD) hingegen ist ein sogenanntes Multi-Target-Drug mit antikonvulsiven, neuroprotektiven und antioxidativen Eigenschaften, jedoch ohne psychotrope Effekte. Diese Wirkungen werden durch Interaktionen mit dem ENT-Transporter, dem GPR55-Rezeptor, Serotonin-Rezeptoren (5-HT1A), PPAR-Rezeptoren sowie dem TRPM8-Kanal vermittelt.
Das Endocannabinoid-System (ECS) ist ein komplexes Regulationsnetzwerk, das bei allen Säugetieren und Wirbeltieren vorkommt und zu den größten Rezeptorsystemen des Körpers gehört. Seine zentrale Aufgabe besteht in der Aufrechterhaltung der Homöostase, also der Stabilisierung verschiedener physiologischer Prozesse. Dazu zählen unter anderem die Schmerzwahrnehmung, der Appetit, der Schlaf, Entzündungsreaktionen und der Zellstoffwechsel. Diese Balance wird durch intra- und interzelluläre Kommunikationsmechanismen reguliert. Kommt es zu einer Störung dieses Gleichgewichts, setzt das ECS Endocannabinoide frei, um eine Gegenregulation einzuleiten.
Das ECS kann sowohl mit körpereigenen Cannabinoiden (Endocannabinoiden) als auch mit pflanzlichen (Phytocannabinoiden) oder synthetischen Cannabinoiden interagieren. Es besteht aus mehreren zentralen Komponenten:
Cannabinoid-Rezeptoren – G-Protein-gekoppelte Rezeptoren, die im gesamten Körper verteilt sind.
- CB1-Rezeptoren sind hauptsächlich im Nervensystem zu finden, insbesondere im Kortex, limbischen System, Hippocampus und Kleinhirn. Darüber hinaus befinden sie sich auch in den Nervenenden afferenter Neuronen (A∂, C). Ihre Aktivierung beeinflusst die Produktion und Freisetzung verschiedener Neurotransmitter, darunter Acetylcholin, Dopamin, GABA, Histamin, Serotonin und Glutamat. THC bindet allosterisch an den CB1-Rezeptor und trägt maßgeblich zur psychoaktiven Wirkung von Cannabis bei.
Hunde besitzen eine höhere Anzahl an CB1-Rezeptoren als andere Säugetiere, weshalb sie besonders empfindlich auf THC reagieren.
- CB2-Rezeptoren kommen vor allem in Strukturen des Immunsystems, peripheren Organen und im peripheren Nervensystem vor. Sie sind auf B-Lymphozyten, Makrophagen, Mastzellen, natürlichen Killerzellen (NK) und Mikrogliazellen exprimiert.
Eine Aktivierung der CB2-Rezeptoren kann zur Hemmung pro-inflammatorischer Zytokine und zur vermehrten Produktion anti-inflammatorischer Zytokine führen. In entzündetem Gewebe ist die Anzahl der CB2-Rezeptoren bis zu 100-fach höher als in gesundem Gewebe. Dies beeinflusst wiederum die Dosierung von Cannabinoiden während einer Entzündungsreaktion.
Das Endocannabinoid-System ist eng mit der Regulierung von Schmerz- und Entzündungsprozessen verbunden. Da die individuelle Schmerzschwelle von Organismus zu Organismus variiert und unter anderem durch Angst und Stress beeinflusst wird, kann die Homöostase, das physiologische Gleichgewicht schnell verloren gehen. Eine zentrale Aufgabe des ECS besteht unter anderem in der Aufrechterhaltung dieser Homöostase, die für das Überleben aller Lebewesen essenziell ist. Besonders das Immunsystem und das zentrale Nervensystem spielen eine entscheidende Rolle bei der Wiederherstellung dieses physiologischen Gleichgewichts. Durch die Zufuhr exogener Cannabinoide können diese Vorgänge gezielt moduliert werden, indem Cannabinoide das ECS beeinflussen und regulieren. CBD wirkt unter anderem auf den 5-HT1A-Serotoninrezeptor, was seine möglichen angstlösenden und antidepressiven Effekte erklären könnte. Darüber hinaus hemmt CBD die Aufnahme von Adenosin, was zu entzündungshemmenden und neuroprotektiven Eigenschaften führt. Zusätzlich interagiert es mit TRPV1-Rezeptoren, die an der Schmerzregulation beteiligt sind, und könnte dadurch therapeutische Vorteile bei der Behandlung von Schmerzen und Entzündungen bieten.
Neurodegenerative Erkrankungen wie das kognitive Dysfunktionssyndrom (CDS) bei Hunden und Katzen gehen mit einer gestörten Homöostase einher. Ähnlich wie bei Alzheimer lagern sich Lipofuszine und Amyloid-Plaques im Gehirn ab, was zu kognitiven Beeinträchtigungen und dem Absterben von Nervenzellen führt. Die genauen Ursachen sind noch nicht vollständig erforscht, wobei Alter, Genetik und Umweltfaktoren eine Rolle spielen.
Das ECS könnte an dieser Stelle eine neuroprotektive Funktion haben, indem es Entzündungsreaktionen moduliert und die Neurogenese fördert. So zeigen Studien, dass Cannabinoid-Rezeptoren, insbesondere CB1 und CB2, an neuroprotektiven und entzündungshemmenden Prozessen beteiligt sind.
CBD wird daher als mögliche unterstützende Therapie für CDS betrachtet. Es könnte oxidativen Stress und Neuroinflammation reduzieren, die synaptische Plastizität fördern und die Neurogenese stimulieren, wodurch der kognitive Abbau möglicherweise verlangsamt wird.
Eine weitere und vielversprechende Anwendungsmöglichkeit von CBD ist die Behandlung der atopischen Dermatitis, bei der essenzielle Hautstoffwechselfunktionen beeinträchtigt sind. Das kutane Endocannabinoid-System übernimmt eine zentrale Funktion in der Regulation der Zellproliferation, Differenzierung, Überlebensfähigkeit sowie der Immunabwehr und Toleranz der Hautzellen. Zudem deutet Forschung darauf hin, dass die Aktivierung des CB2-Rezeptors die Wundheilung positiv beeinflussen kann. Durch eine Reduktion der Entzündungsreaktion, eine beschleunigte Epithelisierung und eine verringerte Narbenbildung kann CBD möglicherweise die Regeneration der Haut unterstützen.
CBD und andere Cannabinoide können bei richtiger und gezielter Anwendung wertvolle Unterstützung bieten und den Alltag von Tieren und deren Haltern erleichtern. Dennoch sind sie keine Wundermittel und sollten ausschließlich unter fachkundiger Aufsicht eingesetzt werden, da mögliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten berücksichtigt und der Gesundheitszustand des Tieres regelmäßig überwacht werden müssen.
Obwohl CBD als grundsätzlich sicher gilt, ist insbesondere bei älteren Tieren oder bei einer langfristigen Verabreichung hoher Dosen eine regelmäßige Kontrolle der Leberwerte empfehlenswert.